Sie engagieren sich auf sehr vielfältige Weise in der Zivilgesellschaft. Wie kommt das?
Ich bin mit ehrenamtlicher Arbeit aufgewachsen. Als Jugendlicher habe ich mich erst in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen engagiert, dann im Naturschutz. Dabei habe ich immer tolle Erfahrungen gemacht und früh gelernt, dass man einerseits viel gibt, aber andererseits auch viel bekommt. Nicht in Form von Geld, sondern in Form von Dankbarkeit.
Ehrenamtliche Arbeit hat mich immer zutiefst erfreut, so dass ich das eigentlich immer beibehalten habe.
Auf Ihrem Instagram-Kanal haben Sie auf das Thema häusliche Gewalt aufmerksam gemacht und geschrieben, dass betroffene Männer noch seltener Hilfe suchen als Frauen. Warum ist Ihnen dieses Thema wichtig?
Mit diesem Thema habe ich schon länger zu tun. Ich bin viel in der Straffälligenhilfe unterwegs und habe viele Gespräche mit Tätern geführt. Bei einigen von ihnen gab es sexuelle Gewalt, in manchen Fällen sogar vonseiten der Mutter. In der Regel ist es für männliche Betroffene noch schambehafteter als für weibliche, darüber zu sprechen. Das gilt umso mehr, wenn es eine Täterin gibt. Natürlich gibt es mehr Gewalt gegen Frauen, da gibt es ganz andere Zahlen. Aber es müsste auch medial mehr von männlichen Opfern erzählt werden, weil mit Gewalt gegen Männer nach wie vor ein Tabu verbunden ist.
Wie passt Ihr Ehrenamt im Strafvollzug mit dem im Opferschutz zusammen?
Die beiden Bereiche passen sogar sehr gut zusammen, sie ergänzen sich. Meiner Erfahrung nach verläuft Gewalt immer in Kreisläufen, und es gehört zum Präventionsgedanken, sich dessen bewusst zu werden. Wenn Kinder zum Beispiel zu Hause Alkoholismus und Gewalt erleben, besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass sie in ihrem Leben selbst zu Alkoholikern oder gewalttätig werden, trotz all der vorgelebten negativen Seiten. Ich denke, um solche Kreisläufe zu durchbrechen, müssen wir als Gesellschaft auf beiden Seiten daran arbeiten, mit Opfern und mit Tätern. Letztere sollen sich ja bis zu ihrer Entlassung aus dem Gefängnis zum Guten verändern.
Meiner Erfahrung nach gibt es im Vollzug allerdings nur wenige Angebote, die das fördern.
Sie haben sich auch mit dem Ansatz der „Restorative Justice“ beschäftigt, bei dem Opfer und Täter in einen Dialog treten.
Ja, aber ob man diesen Weg gehen möchte, muss man ganz allein dem Opfer überlassen. Wenn jemand das nicht möchte, muss man das unbedingt anerkennen und darf ihn nicht überreden. Aber wenn jemand dazu bereit ist, kann ein Austausch, bei dem Fragenstellen und ein Aussprechen einer Entschuldigung möglich sind, für beide Seiten unheimlich hilfreich sein. Und natürlich braucht es dabei eine sensible Begleitung.
Wie kommen Sie zu diesem Schluss?
Ich habe als Vollzugshelfer sieben Jahre lang einen Gefangenen betreut, der einen Mord begangen hat, und über die Begegnungen und seine Entwicklung auch ein Buch geschrieben. Anfangs war deutlich, dass er versuchte, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Da ist mir zum ersten Mal klar geworden, wie unfassbar groß diese Schuld ist, die man nie auch nur ansatzweise wiedergutmachen kann. Es ist die Aufgabe des Täters, diese Schuld zu tragen, wie einen schweren Rucksack.
Wir als Gesellschaft können ihm helfen, diesen Rucksack auf die Schultern zu hieven. Bei jenem Gefangenen war es so, dass die Bereitschaft und das Bedürfnis, sich der Schuld zu stellen, mit der Zeit wuchsen. Irgendwann sagte er, er würde gerne eine Entschuldigung aussprechen. Das war leider nicht mehr möglich, weil die Angehörigen des Opfers bereits verstorben waren. Aber ich glaube, der Prozess hat beim Täter zu einer Form von Heilung geführt. Und genau das kann uns als Gesellschaft helfen: dass Täter zu Menschen werden, die anderen Menschen keinen Schaden mehr antun.